Eine kurze Familiengeschichte des Menschen

Vor sechs bis acht Millionen Jahren verzweigten sich die gemeinsamen Abstammungswege von Schimpansen und Bonobos auf der einen und Menschen auf der andere Seite zu zwei getrennten Pfaden. Den langen Weg von diesem Ausgangspunkt bis zu den heutigen Menschen beschreiben die Paläoanthropologen mit Hilfe einer stetig wachsenden Zahl von Ausgrabungsfunden wie Teilskeletten, Einzelknochen, Knochenfragmenten und Zähnen. Zusätzlich finden sie indirekte Nachweise wie versteinerte Fußspuren oder die Überreste von Beutetieren.
Den Funden ordnen sie dann eine mittlerweile unübersichtliche Folge von Arten und Gattungen zu, die Gegenstand heftiger wissenschaftlicher Debatten ist. Für ihren derzeit ältesten Vertreter Sahelanthropus tchadensis gilt das gleiche wie für seine weitverzweigte Verwandtschaft: Sicher ist, dass sie existierten und ihre Nachfahren keine Affen sind. Ob sich aber eine Abstammungslinie bis zu den zeitgenössischen Menschen führen lässt oder sie ohne Nachfolger ausstarben, ist ungewiss.
Einigen können sich die meisten Wissenschaftler auf eine Trennung in Vormenschen, mit ihrer wichtigsten Gattung Australopithecus, und den aus diesen hervorgehenden Frühmenschen. Letztere tragen wie wir Jetztmenschen die Gattungsbezeichnung Homo.
Der paläontologische Superstar unter den Australopithekinen ist zweifellos Lucy. Das 1974 in Äthiopien gefundene Teilskelett, das wahrscheinlich einer jungen Frau gehörte, erlaubte zusammen mit Fußabdrücken und einigen weiteren Funden, unter anderem einem 1991 gefundenen annähernd vollständigen Schädel, weitgehende Schlüsse über die Anghörigen der Art Australopithecus afarensis. Diese nur 1 bis 1,20 Meter großen Vormenschen lebten vor vier bis zweieinhalb Millionen Jahren in Ostafrika und gingen bereits überwiegend aufrecht. Ihr Gehirnvolumen entsprach relativ zu ihrer Körpermasse dem eines Schimpansen. Sprechen konnten diese in Gruppen lebenden Wesen sicher nicht, aber Lucys direkte Nachfahren (Australopithecus africanus) haben wahrscheinlich gezielt Steine bearbeitet und begonnen, diese als Werkzeuge zu benutzen. Gemeinsam ist den Vor- und Frühmenschen, dass sie sich im Unterschied zu den Affen den Risiken und Chancen der sich ausbreitenden offenen Steppenlandschaften und übersichtlicher Flussuferzonen stellten. Hier war die Fähigkeit zu klettern immer weniger gefragt. Die Gabe, sowohl zügig als auch ausdauernd zu laufen, wurde dagegen zunehmend hilfreich.
Unter den Frühmenschen ist Homo habilis nur durch wenige Fundstücke als Art sicher belegt. Dagegen gilt Homo erectus durch viele Exponate als vergleichsweise gut beschreibbare Art – kein Wunder, starben seine letzten Vertreter doch vor frühestens 300.000 Jahren aus. Belegt durch fast zwei Millionen Jahre alte Exemplare hielt sich Homo erectus also über eineinhalb Millionen Jahre auf der Erde und breitete sich von Afrika bis nach Europa und Südostasien aus. Die Protagonisten dieser evolutionären Erfolgsstory bändigten das Feuer und erfanden das langlebigste Universalwerkzeug der Weltgeschichte: Den Faustkeil.
Das bei Homo habilis nur in Ansätzen vorhandene Sprechvermögen entwickelte sich bei Homo erectus erheblich weiter, sodass mit diesen frühen Menschen die Voraussetzungen für Geist und Kultur geschaffen waren.
Sowohl Homo neandertaliensis, der etwa 200.000 bis 40.000 Jahre vor heute im westlichen Eurasien lebte, als auch Homo sapiens, dessen mit 160.000 Jahren älteste Vertreter aus Ostafrika stammen, werden auf Homo erectus zurückgeführt.
So klafft also eine gewisse zeitliche Lücke zwischne Homo erectus und den modernen Menschen. Die so zwangsläufig zu fordernden Übergangsformen sind Gegenstand intensiver Forschung und leidenschaftlicher paläontologischer Diskussion.